Wie nutzen Algorithmen unsere Gewohnheiten?

Roger Basler de Roca
4 min readMar 12, 2021

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Eigentlich würde man sich keine Gedanken darum machen, was Algorithmen mit Biologie zu tun haben. Wenn man allerdings beachtet, dass Algorithmen nichts anderes versuchen, als unser Verhalten zu analysieren, zu imitieren und zu reproduzieren, so erkennt man, dass sie mit einigen biologischen Komponenten arbeiten. In diesem Artikel erklären wir, wie ein Algorithmus mit der menschlichen Biologie zusammenwirkt — und was Social Media damit zu tun hat.

Ein Algorithmus ist eine komplexe Abfolge von Befehlen, also ein Programm, das relativ einfach geschrieben ist. Einfach, aus dem Grund, weil das Verhalten des Menschens widergespiegelt werden soll. Denn der Mensch ist vor allem eines: ein Gewohnheitstier. Das heisst, sobald der Algorithmus eine Gewohnheit ermittelt hat, kann er anfangen, uns entsprechende Inhalte, Themen oder Informationen so zuzuspielen, dass es für uns äusserst bequem und attraktiv ist, denn wir müssen nicht aus unserer Komfortzone heraus. Die Gefahr besteht allerdings, dass man dadurch vielleicht immer nur ähnliche Inhalte konsumiert und so seinen Horizont nicht erweitert.

Ein Algorithmus ist ein schrittweises Verfahren zum Lösen eines Problems durch ein spezielles Regelwerk. Algorithmen bestehen aus einer Folge von elementaren Anweisungen

Was haben Algorithmen mit Hormonen zu tun?

Algorithmen zielen auf zwei Hormone: Dopamin und Oxytocin. Dopamin ist ein Belohnungsenzym. Es ist ein Botenstoff, der verantwortlich für die Informationsübermittlung in unserem Körper ist. Das heisst, wenn man etwas sieht, dass spannend ist, nimmt der Körper diese Information viel schneller auf. Dopamin ist damit nicht nur ein Hormon, sondern auch ein Neurotransmitter.

Das bedeutet, er ist ein Botenstoff im Gehirn, der zur Erregung der Nervenzellen dient und so für die Informationsverarbeitung mitverantwortlich ist.

Ist zu wenig von diesen Botenstoffen vorhanden, kann es zu Motivations- und Konzentrationsproblemen kommen. Denkt man an ein verschlechtertes Wohlbefinden, wird damit häufig der Neurotransmitter Serotonin, auch genannt das „Wohlfühlhormon” in Verbindung gebracht.

Die Hormone werden tatsächlich häufig in Kombination ausgeschüttet, unterscheiden sich aber in bestimmten Punkten. Dopamin sorgt eher für deine Antriebskraft und Motivation.

Dinge, die begeistern, die etwas Neues zeigen, wie zum Beispiel ein Flackern oder ein schnell geschnittener Film, liebt der Körper — und er will mehr davon. Das heisst, Menschen sind unter anderem Dopamin-Junkies. Denn solange wir Dopamin produzieren, ist unser Körper glücklich.

Jetzt gibt es gewisse Systeme, die uns Dopamin abhängig machen, da sie uns immer etwas Neues zu spielen: zum Beispiel Social Media Plattformen. Doch was hat das nun mit Oxytocin zu tun? Oxytocin ist ein Hormon, das bei der Geburt zwischen Mutter und Kind das erste mal in unserem Leben produziert wird. Es ist eine Art ‘Kuschel-Vertrauenshormon’ und ist zuständig für das Gefühl von Bindung und Nähe. Aus der Forschung weiss man, dass es gewisse Verbindungen zwischen Oxytocin und Dopamin gibt. Vor allem, wenn es darum geht, dass eine gewisse Gewohnheit entsteht.

Dopamin als Neurotransmitter und Oxytocin als Neuropeptid werden wichtige modulatorische Einflüsse auf das Erleben positiver Emotionen zugeschrieben. Während Dopamin in erster Linie mit Motivation und Belohnung assoziiert wird, spielt Oxytocin insbesondere eine wichtige Rolle bei der Entstehung von prosozialen Emotionen wie Geborgenheit und interpersoneller Nähe.

Die Kombination macht’s aus

In der Kombination sind diese zwei Hormone extrem mächtig. Wenn nämlich zum einen Dopamin ausgelöst werden kann, und zum anderen Oxytocin gefördert werden kann, dann ist das eine Art Jackpot. Der Mensch kann sich dem nämlich nur sehr schwer entziehen. Denn wir alle wollen Stimulation und Geborgenheit, zumindest bis zu einem gewissen Grad.

Es ist ausserdem bezeichnend, dass sehr viele Biologen, Historiker, Chemiker, Physiker und Mathematiker bei IT-Unternehmen arbeiten. Denn Algorithmen sind nicht einfach etwas, dass man programmiert. Einen Algorithmus muss man konzipieren, erschaffen und testen und zwar basierend vom Endnutzer, also dem Menschen. Diesen Menschen wollen Alogithmen helfen, sie aber gleichmassen auch binden. Und hier kommt die Krux.

Was hat das nun mit Social Media zu tun?

Es ist Wahnsinn, dass unser biologisches Verhalten durch ein digitales Gerät hervorgerufen werden kann. Somit nutzen Social Media Plattformen unter anderem Algorithmen, um unsere Gewohnheiten zu analysieren und uns passende Inhalte zuspielen zu können. So stellen sie sicher, dass wir auf der Plattform bleiben — denn uns gefällt der Content, den wir sehen. Mit diesem Verfahren generieren sie auch eine gewisse Bindung. Der Algorithmus trägt also dazu bei, dass diese zwei Hormone ausgeschüttet werden, was zu einer Beziehung, und teilweise auch zur Abhängigkeit, zu Social Media Plattformen führen kann. Das Auslösen biologischen Verhaltens macht die Verwendung von Algorithmen also äusserst wertvoll.

Wer also erfolgreich auf sozialen Medien sein will, muss nicht nur verstehen was Algorithmen sind, sondern auch, worauf sie basieren: dem menschlichen Verhalten und dem Verlangen nach Aufmerksamkeit und Geborgenheit.

Denn nur rund 10% der LinkedIn Nutzer liken mindestens einmal am Tag Content, den ihre Freunde gepostet haben. 3–4% tun das wohl mehrmals pro Tag. Aber warum? Wir liken, weil wir diese Beziehungen aufrechterhalten wollen. Wenn wir Inhalte anderer liken und favorisieren, wertschätzen wir die Beziehung also den Menschen dahinter und verstärken die Verbundenheit — genauso das kommentieren, was allerdings noch stärker wirkt.

Ausserdem setzen wir den so genannten Reziprozitäts Effekt in Gang, also das “zurückgeben”. Nach diesem fühlen wir uns dazu verpflichtet Personen etwas zurück zu geben, die uns etwas gegeben haben, auch wenn es nur eine kleine Geste ist. Wir wollen diese (emotionale) Rechnung begleichen, was langfristig aber auch dazu führt, dass wir immer wieder dieselben Inhalte sehen.

Genau hier setzt allerdings besonders LinkedIn an mit “XY hat kommentiert”, “ABC hat geliked” etc — wir sehen damit, dass indirekt Menschen bei anderen Menschen die noch nicht in unserem Netzwerk sind aktiv sind, und wir erweitern damit unser persönliches Netzwerk um Kontakte zweiten Grades — eigentlich ganz clever — denn schaut selbst mal, im Feed, wie viele von diese “hat auch” Posts gibt es? Ich wette, es sind mehr als ihr denkt.

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Roger Basler de Roca
Roger Basler de Roca

Written by Roger Basler de Roca

Over 25 years of experience in IT and AI, runs an AI consultancy, gives 100 talks/year, speaks 6 languages, currently doing a PhD.

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